Eine vergebene Chance? Stand der elektronischen Gesundheitskarte 2017
Dirk Albers war Projektleiter des ersten Architekturprojektes zur elektronischen Gesundheitskarte im Jahr 2003/2004 und ist heute als selbstständiger Berater tätig. Mit uns spricht er darüber, ob das eHealth-Gesetz von 2016 tatsächlich die bereits 2004 geplanten Vorteile der elektronischen Kommunikation zwischen den Beteiligten im Gesundheitswesen voranbringen kann.
Herr Albers, welche Argumente standen 2004 im Vordergrund, eine elektronische Gesundheitskarte einzuführen?
Neben den aufwendig berechneten möglichen Einsparungen im System durch optimierte Prozesse, standen vor allen Dingen die gleichberechtigte Einbeziehung der Patienten in die Versorgung und deren Sicherheit, zum Beispiel bei der Anwendung von Arzneimitteln, im Vordergrund.
Die breitere Erkenntnis, dass es durch die fehlerhafte Verordnung und Einnahme von Arzneimitteln zu einer sehr hohen Zahl von ernst zu nehmenden Nebenwirkungen mit Krankenhauseinweisung oder sogar Todesfällen kommt, kam zu dieser Zeit erst auf.
Warum hat es so lange gedauert, bis die Gesundheitskarte in die Anwendung kam und die Vorteile nun endlich Realität werden?
Die eGK selbst ist mittlerweile bei den meisten Versicherten angekommen, nur leider nicht die eigentlich nutzenbringenden Funktionen, wie z.B. einen Arzneimittelcheck oder eine Patientenakte zur Nachhaltung der wichtigsten Informationen in der Hand der Bürger.
Nach meiner persönlichen Meinung wurde in den ersten Jahren der Konzeption der Projektstrukturen zur eGK die Chance vertan, leistungsfähige, entsprechend der jeweiligen Kompetenzen zu besetzende Gremien zu schaffen. Z.B. wäre eine andere Aufgabenverteilung zwischen Selbstverwaltung und der Industrie eventuell zielführender gewesen. Einfach formuliert, hätte die „fachliche Ausgestaltung“ durch die Selbstverwaltung und „technische Ausgestaltung“ durch die Industrie erfolgen können, anstatt alle Themen bei einem Gremium anzusiedeln.
Außerdem sind sicherlich die kritische Stimmung in Deutschland in Bezug auf den Datenschutz, die immer noch sehr eingeschränkte Bereitschaft der Leistungserbringer zur Transparenz im System – oft mit der Befürchtung monetärer Einbußen – und die Verteidigung bestehender, kommerziell lukrativer Strukturen als wesentliche Bremsen zu nennen – zu Lasten der Interessen der Bürger, wobei letztere ja die letztlich die Finanzierung des Systems zu erheblich Anteilen mittragen.
Wie kann das eHealth-Gesetz hierauf einwirken und wird es die Telematikinfrastruktur tatsächlich voranbringen?
Dass der Gesetzgeber erhebliche Sanktionen androht, falls die Selbstverwaltung bestimmte Vorgaben nicht erreicht, finde ich einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, auch da in der Vergangenheit viele zeitliche Vorgaben nicht eingehalten wurden, ohne dass dies weitere Konsequenzen hatte. Andererseits werden für bestimmte Leistungen, wie dem Arztbrief, finanzielle Anreize gesetzt, was sicherlich hilfreich für die Akzeptanz sein wird.
Nun wird die nähere Zukunft zeigen müssen, ob Sanktionen und Anreize genügend Bewegung in das Projekt bringen. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste man meiner Meinung nach darüber nachdenken, die Strukturen und Verantwortlichkeiten zu ändern, z.B. staatliche Strukturen in enger Zusammenarbeit mit der Industrie für die Konzeption, Umsetzung und den Betrieb verantwortlich zu machen; was in anderen Ländern bereits gut funktioniert hat.
Herr Albers, vielen Dank für das Gespräch.
Expertenprofil
Dirk Albers, Dipl.-Ing. und MBA, ist selbständiger Berater im Gesundheitswesen und Geschäftsführer der Initas Healthcare GbR.
Im Jahr 2003 war er als Associate Partner bei der IBM Business Consulting, Projektleiter für die IT-Architektur der eGK. Heute betreut er eine Vielzahl von Beratungsthemen im Gesundheitswesen, wobei eHealth immer wieder als Querschnittsthema Relevanz für seine Projekte entwickelt.
Kontakt:
Dipl.-Ing. Dirk Albers, MBA
Geschäftsführer
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